Soziales

Zuhause bleiben? Arbeiten gehn? Was jetzt zu tun ist – Ein Kommentar

16. April 2020 - 15:20 Uhr

Nur wenige Wochen nach Bekanntgabe von Kontaktsperren, diskutiert die Bundespolitik bereits deren Ende. Den Startschuss gab Anfang letzter Woche der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der trotz noch immer steigender Infektionszahlen in Aussicht stellte, die Regelungen in seinem Bundesland nach den Ostertagen lockern zu können.

Ein Kommentar

Freiheitsrechte haben durch die Corona-Pandemie den Status „zum Abschuss freigegeben“ bekommen. Althergebrachte Grundsätze unseres Zusammenlebens, wie das Versammlungsrecht oder die Bewegungsfreiheit wurden ohne mit der Wimper zu zucken eingeschränkt oder vollständig gestrichen. Der Datenschutz hat da zwar noch eine etwas längere Halbwertszeit, doch was an den Versprechen des Robert Koch-Institut (RKI) zur Corona-App letztlich dran sein wird, ist unklar. Aus linker Perspektive ist es also begrüßenswert, wenn der Staat auch in Krisenzeiten mehr Freiheit statt Angst wagt, oder? 

Dass dies nicht der Fall ist, lässt sich an der derzeitigen Debatte um erste Lockerungen erkennen, in der grundrechtliche Erwägungen lediglich eine untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr argumentieren vor allem konservative und liberale Politiker:innen mit der drohenden Wirtschaftskrise. Zugegeben, die Zahlen wirken auf den ersten Blick bedrohlich. Die Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 sind hierzulande gerade noch so glatt gebügelt worden, doch insbesondere die griechische Gesellschaft leidet bis heute an ihren Auswirkungen. Der sich abzeichnende Crash, den COVID-19 hervorruft, dürfte um einiges schlimmer werden. Die Sorge vieler Menschen um ihre Arbeitsplätze ist berechtigt.

Dass die Wirtschaft nicht für die Menschen arbeitet, zeigt die Corona-Pandemie sehr gut. Würden wir für die Menschen wirtschaften, wäre die Pandemie ein viel kleineres Problem. Die Angst um unsere Gesundheit wäre nicht verschwunden und klar, es gäbe auch Kontaktsperren und Todesfälle. Aber niemand müsste Angst um seinen Arbeitsplatz, ein Auskommen und die daran hängende Zukunft haben. Stattdessen würde die Politik schauen, was wirklich dringend weiter hergestellt und getan werden muss: Lebensmittel, Arzneimittel, Müllabfuhr, Pflege, Kinderbetreuung und vieles mehr. Den Rest könnte die Gesellschaft einfach für einige Zeit herunter regulieren, eben nur so viel, wie gerade noch nötig ist. Alle Menschen hätten mehr Zeit, weniger Stress und würden zumindest hierzulande gesünder leben.

Wenn jetzt die Kontaktsperren gelockert werden, passiert das vor allem, um den wirtschaftlichen Einbruch abzumildern. Das Wohlergehen letzterer steht dabei über unserer Gesundheit. Dass es gerade schlauer wäre, nicht zur Arbeit zu gehen, wenn es nicht unbedingt sein muss, würden wohl die wenigsten Menschen bestreiten. Vielerorts sind die Arbeitsschutzbedingungen katastrophal. In Altenpflegeheimen arbeitende Menschen erzählen, dass sie nun Mundschutz zum Arbeiten bekämen. Jeder Mundschutz lässt sich zwei Stunden benutzen, danach ist die Schutzwirkung passé. Doch pro Schicht bekommen sie nur einen Mundschutz. Und wenn das die Situation in der Altenpflege ist, ist es nur schwer vorstellbar, wie es gerade bei Volkswagen, Amazon, Siemens oder Stihl aussieht

Doch es muss gearbeitet werden, weil sonst das Wirtschaftswachstum in Gefahr ist. Nicht, weil tatsächlich kein Toilettenpapier mehr hergestellt wird oder Nudeln knapp würden. Das Grundprinzip kapitalistischer Wirtschaft ist, aus der Produktion und dem Vertrieb von Waren Gewinn zu schaffen, der erneut in die Produktion investiert werden kann. Wenn dieses Prinzip so wie im aktuellen Fall signifikant ins Stocken gerät, dann entstehen fast zwangsläufig Wirtschaftskrisen mit nur kaum kontrollierbaren Folgen.

Was bleibt? Vermutlich haben linke Bewegungen hierzulande auf all das wenig Einfluss. Dennoch ist es gerade in solchen Krisenzeiten wichtig, andere Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und die Utopie einer solidarischen Gesellschaft in das Bewusstsein der Menschen zu rücken. Es sollte nicht nur dazugehören, Kämpfe um Arbeitsschutz, Lohnausgleich und Arbeitszeitkonten zu unterstützen, sondern ebenso solidarische Nachbarschaftsinitiativen zu gründen oder mitzugestalten. Was es dafür braucht? Freiheitsrechte mit Sicherheit, Gewerkschaftsfreiheit beispielsweise wurde in der Vergangenheit stark beschnitten. Das Versammlungsrecht? Grundgesetzlich verbrieft, polizeilich ausgehebelt. Bewegungsfreiheit? In aller erster Linie ein Privileg für passdeutsche Menschen.

Ein Verzicht auf Partys und Urlaubsreisen ist wahrscheinlich einfacher zu verkraften, so lange davon ausgegangen werden kann, dass sich meine Liebsten nicht krank schuften müssen. Hinterher kann gern geschaut werden, was von dem ganzen Laden  noch übrig ist. Ob irgendwann in naher Zukunft jedoch noch Zeit bleiben wird, den Laden so zu organisieren, dass er von Menschen für Menschen gemacht wird, ist fraglich. Stattdessen ist es notwendig, sich bereits in diesem Augenblick damit zu beschäftigen, in welcher Welt wir in Zukunft eigentlich leben wollen.


Veröffentlicht am 16. April 2020 um 15:20 Uhr von Redaktion in Soziales

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